Thomas sitzt seit acht Jahren in der IT-Abteilung eines Maschinenbauers im Schwarzwald. 280 Mitarbeiter, solider Ruf, Exportquote von 40 Prozent. Sein Alltag besteht aus Serverwartung, Helpdesk-Tickets und dem ewigen Kampf mit veralteten Druckertreibern. Dann ruft ihn sein Chef ins Büro.
Das Problem ist schnell erklärt. Die Firma verschickt täglich hunderte Dokumente – Angebote, Auftragsbestätigungen, technische Zeichnungen, Rechnungen. Aktuell läuft das über ein Flickwerk aus fünf verschiedenen Systemen. Der Vertrieb exportiert PDFs aus dem CRM, die Buchhaltung druckt aus SAP, die Konstrukteure mailen CAD-Zeichnungen manuell raus.
Neulich ging eine Großbestellung an einen Kunden in Tschechien schief, weil drei verschiedene Versionen einer Stückliste kursierten. Der Kunde war sauer, der Vertriebsleiter noch saurer, und jetzt will die Geschäftsführung eine Lösung. Thomas soll das Projekt leiten – sein erster richtiger Karriereschritt.
Nur: Wo fängt man bei so etwas überhaupt an?
Warum Prozessoptimierung gerade jetzt alle beschäftigt
Thomas' Situation ist kein Einzelfall. Laut der aktuellen Studie „Performance-Treiber 2024" der Staufen AG antworteten 77 Prozent der befragten Industrieunternehmen auf die Frage, was ihre Leistungsfähigkeit abteilungsübergreifend verbessern würde, mit „mehr Effizienz in den Prozessen". Noch vor der Digitalisierung, noch vor neuen Maschinen, noch vor Personalentwicklung steht die schlichte Erkenntnis: Wir arbeiten zu umständlich.
Die Gründe dafür sind vielschichtig. Politische Unsicherheiten, angespannte Lieferketten und hohe Energiepreise zwingen Unternehmen, ihre Abläufe konsequent auf den Prüfstand zu stellen. Wer hier nicht handelt, verliert Margen – und irgendwann Kunden.
72 Prozent der Unternehmen, die Potenzial in höherer Prozesseffizienz sehen, setzen dabei auf Digitalisierung als Hebel. 59 Prozent wollen Prozesse verschlanken, 52 Prozent passen sie gezielt an künftige Herausforderungen an. Die Richtung ist klar: Weniger Wildwuchs, mehr System.
Die sieben typischen Problemzonen im Mittelstand
Thomas beginnt mit einer Bestandsaufnahme. Er spricht mit Kollegen aus verschiedenen Abteilungen, beobachtet Arbeitsabläufe und notiert, wo es hakt. Nach zwei Wochen hat er eine Liste, die ihm bekannt vorkommt – weil sie in fast jedem mittelständischen Unternehmen ähnlich aussieht:
Medienbrüche entstehen überall dort, wo Informationen von einem System ins nächste wandern müssen. Die Konstruktion speichert Zeichnungen auf einem Netzlaufwerk, der Einkauf tippt die Daten dann manuell in sein Bestellsystem ein, und der Vertrieb kopiert alles noch einmal in die Angebotssoftware. Jede Schnittstelle ist eine Fehlerquelle.
Datensilos verhindern, dass Informationen dort ankommen, wo sie gebraucht werden. Das CRM weiß nicht, was das ERP tut, die Produktionsplanung arbeitet mit Excel-Listen, und der Außendienst hat sowieso seine eigenen Unterlagen auf dem Laptop. Niemand hat den vollständigen Überblick.
Doppelarbeit frisst Zeit und Motivation. Wenn drei Abteilungen dieselben Kundenstammdaten pflegen, arbeitet mindestens eine umsonst. Thomas findet Beispiele, wo ein einzelner Datensatz in sieben verschiedenen Systemen existiert – natürlich alle leicht unterschiedlich.
Unklare Verantwortlichkeiten führen dazu, dass Aufgaben liegen bleiben oder doppelt erledigt werden. Wer kümmert sich um die Archivierung von Angeboten? Vertrieb sagt Buchhaltung, Buchhaltung sagt IT, IT sagt niemand.
Fehlende Standardisierung macht jeden Mitarbeiter zur Einzelkämpferin. Jeder hat seine eigene Art, Dokumente zu benennen, abzulegen und zu versenden. Wenn jemand krank wird oder die Firma verlässt, geht Wissen verloren.
Manuelle Routineaufgaben binden qualifizierte Mitarbeiter, die ihre Zeit eigentlich für wertschöpfende Tätigkeiten nutzen sollten. Die Assistentin, die jeden Morgen zwei Stunden lang Bestellbestätigungen in PDFs umwandelt und verschickt, könnte Besseres tun.
Compliance-Risiken entstehen, wenn Dokumentation lückenhaft ist. Wer kann nachweisen, welche Version eines technischen Datenblatts wann an welchen Kunden ging? Bei einer Produkthaftungsklage wird das schnell existenziell.
Was Lean Management mit IT zu tun hat
Thomas recherchiert weiter und stößt auf Konzepte, die ursprünglich aus der Produktion stammen. Das Fraunhofer IPA in Stuttgart beschreibt Lean Management als Ansatz, der Verschwendung systematisch eliminiert und Prozesse auf das Wesentliche reduziert.
Die Grundprinzipien lassen sich auf administrative Bereiche übertragen. Was in der Fertigung unnötige Lagerhaltung ist, entspricht in der Bürowelt den Dokumenten, die auf Freigabe warten. Was dort Transportwege sind, sind hier Medienbrüche. Was dort Wartezeiten heißt, meint hier die E-Mail, die drei Tage im Postfach liegt, bevor jemand reagiert.
Die zentrale Frage lautet: Welche Aktivität schafft aus Kundensicht Wert? Alles andere ist im Lean-Verständnis Verschwendung – muda auf Japanisch. Das klingt radikal, hilft aber beim Priorisieren. Thomas notiert sich die Frage für seine Gespräche mit den Fachabteilungen.
Vom Dokumentenchaos zur zentralen Steuerung
Bei seiner Recherche stößt Thomas auf einen Begriff, der sein Problem auf den Punkt bringt: Output Management. Dahinter steht die Idee, alle Dokumente aus unterschiedlichen Quellsystemen zentral zu bündeln und über den jeweils passenden Kanal auszuspielen.
Das Prinzip leuchtet ihm sofort ein. Statt dass jede Abteilung ihre eigene Lösung zusammenbastelt, gibt es eine zentrale Instanz, die Dokumente entgegennimmt, aufbereitet und verteilt. Die Konstruktionszeichnung aus dem CAD-System, die Rechnung aus SAP, das Angebot aus dem CRM – alles läuft durch dieselbe Pipeline.
Der Vorteil liegt auf der Hand. Formatierung, Branding und Versandlogik werden an einer Stelle definiert, nicht in fünfzig verschiedenen Word-Vorlagen. Wenn ein Kunde lieber PDFs per E-Mail will statt Papier per Post, ändert man das zentral. Und die Nachvollziehbarkeit – welches Dokument ging wann an wen – ist automatisch gegeben.
Thomas baut das Thema in sein Konzept ein. Es löst zwar nicht alle Probleme, aber es adressiert einen der größten Schmerzpunkte: die unkontrollierte Dokumentenflut.
Checkliste: Ist dein Unternehmen reif für Prozessoptimierung?
Thomas entwickelt für seine Präsentation vor der Geschäftsführung eine einfache Checkliste. Sie hilft dabei, den aktuellen Reifegrad einzuschätzen:
| Kriterium | Ja | Teilweise | Nein |
| Es gibt dokumentierte Prozessbeschreibungen für alle wichtigen Abläufe | ☐ | ☐ | ☐ |
| Verantwortlichkeiten sind klar definiert und bekannt | ☐ | ☐ | ☐ |
| Systeme tauschen Daten automatisiert aus | ☐ | ☐ | ☐ |
| Dokumente werden zentral verwaltet und archiviert | ☐ | ☐ | ☐ |
| Mitarbeiter wissen, wo sie aktuelle Vorlagen finden | ☐ | ☐ | ☐ |
| Wiederkehrende Aufgaben sind automatisiert | ☐ | ☐ | ☐ |
| Kennzahlen zur Prozessleistung werden regelmäßig erhoben | ☐ | ☐ | ☐ |
| Bei Abwesenheit können Kollegen Aufgaben übernehmen | ☐ | ☐ | ☐ |
Wer überwiegend „Nein" ankreuzt, hat Handlungsbedarf – aber auch Potenzial. Denn jedes Defizit ist gleichzeitig ein Hebel zur Verbesserung.
Die fünf Phasen eines Optimierungsprojekts
Thomas strukturiert sein Vorgehen in Phasen. Das hilft ihm, den Überblick zu behalten und realistische Erwartungen zu setzen.
In der ersten Phase geht es um Analyse und Bestandsaufnahme. Welche Prozesse existieren, wer ist beteiligt, wo entstehen Probleme? Thomas führt Interviews, beobachtet Arbeitsabläufe und sichtet Dokumentationen – sofern es welche gibt. Diese Phase dauert je nach Unternehmensgröße vier bis acht Wochen.
Die zweite Phase widmet sich der Priorisierung. Nicht alles kann gleichzeitig angegangen werden. Thomas bewertet die identifizierten Probleme nach Dringlichkeit, Aufwand und erwarteter Wirkung. Quick Wins, die wenig kosten und schnell sichtbare Verbesserungen bringen, wandern nach oben.
In Phase drei entwickelt Thomas konkrete Lösungskonzepte. Für jedes priorisierte Problem skizziert er Alternativen, kalkuliert Kosten und Nutzen und holt Angebote ein. Wichtig ist, die Fachabteilungen einzubeziehen – sie kennen die Details und müssen später mit den Lösungen arbeiten.
Die vierte Phase umfasst Pilotierung und Rollout. Thomas beginnt mit einem abgegrenzten Bereich, sammelt Erfahrungen und passt das Konzept an, bevor er in die Breite geht. Fehler in einem Pilotprojekt sind lehrreich; Fehler im unternehmensweiten Rollout sind teuer.
Phase fünf bedeutet kontinuierliche Verbesserung. Prozessoptimierung ist kein Projekt mit Enddatum, sondern eine Haltung. Thomas etabliert regelmäßige Reviews, definiert Kennzahlen und schafft Strukturen, um Verbesserungsideen aus dem Arbeitsalltag aufzugreifen.
Was kostet das eigentlich?
Die Geschäftsführung will Zahlen sehen. Thomas recherchiert Erfahrungswerte und stellt eine Übersicht zusammen:
| Maßnahme | Typischer Aufwand | Zeithorizont bis ROI |
| Prozessdokumentation erstellen | 2–5 Personentage pro Kernprozess | 6–12 Monate |
| Dokumentenmanagement einführen | 15.000–80.000 € (je nach Umfang) | 12–24 Monate |
| Output-Management-System | 20.000–100.000 € | 12–18 Monate |
| ERP-Schnittstellen optimieren | 5.000–30.000 € pro Schnittstelle | 6–12 Monate |
| Workflow-Automatisierung | 10.000–50.000 € | 6–18 Monate |
Die Zahlen variieren natürlich stark. Entscheidend ist, den Nutzen gegenzurechnen: eingesparte Arbeitszeit, vermiedene Fehler, schnellere Durchlaufzeiten, zufriedenere Kunden. Thomas kalkuliert konservativ und kommt trotzdem auf eine Amortisation innerhalb von zwei Jahren.
Die menschliche Seite nicht vergessen
Technik allein löst keine Probleme. Thomas hat in den Interviews gemerkt, dass viele Mitarbeiter skeptisch sind. Sie haben schon zu oft erlebt, dass neue Systeme eingeführt wurden, die am Ende mehr Arbeit machten als sie einsparten.
Deshalb plant Thomas von Anfang an Zeit für Change Management ein. Er will die Betroffenen zu Beteiligten machen, ihre Einwände ernst nehmen und Erfolge sichtbar kommunizieren. Wenn die Kollegin aus der Buchhaltung merkt, dass sie durch das neue System tatsächlich zwei Stunden pro Woche spart, wird sie zur Botschafterin des Projekts.
Schulungen sind kein lästiges Übel, sondern Investition in die Akzeptanz. Thomas budgetiert großzügig und plant lieber eine Runde mehr Workshops ein als zu wenige. Die teuerste Software nutzt nichts, wenn sie niemand bedienen kann – oder will.
Woran Optimierungsprojekte scheitern
Thomas sammelt auch Warnungen aus Fachartikeln und Gesprächen mit Kollegen anderer Firmen. Die häufigsten Stolpersteine:
Unklare Ziele führen zu Projekten, die irgendwann im Sande verlaufen. „Wir wollen effizienter werden" reicht nicht. Besser: „Wir wollen die Durchlaufzeit von Angeboten von fünf auf zwei Tage reduzieren."
Fehlende Management-Unterstützung macht jedes Projekt zum Kampf gegen Windmühlen. Wenn die Geschäftsführung das Thema nicht priorisiert, werden Ressourcen immer woanders gebraucht.
Zu viel auf einmal überfordert Organisation und Budget. Thomas plant bewusst klein und skalierbar. Lieber drei erfolgreiche Teilprojekte als ein gescheitertes Mammutvorhaben.
Technologie vor Prozess ist ein klassischer Fehler. Wer erst ein neues System kauft und dann überlegt, wie die Abläufe aussehen sollen, automatisiert bestenfalls Chaos. Erst den Prozess optimieren, dann die passende Technik suchen.
Vernachlässigte Betroffene rächen sich durch Widerstand. Wer Veränderungen über die Köpfe der Mitarbeiter hinweg durchdrückt, erntet Dienst nach Vorschrift – und die neuen Prozesse werden systematisch unterlaufen.
Drei Jahre später
Thomas sitzt inzwischen in einem anderen Büro. Er leitet die neu geschaffene Stabsstelle für Prozesse und Digitalisierung, direkt unter der Geschäftsführung. Das Dokumentenchaos von damals ist Geschichte.
Alle ausgehenden Dokumente laufen über das zentrale System. Kunden können wählen, ob sie Unterlagen per Post, E-Mail oder über das Kundenportal erhalten wollen. Die Archivierung erfolgt automatisch und revisionssicher. Wenn heute eine Anfrage zu einem Vorgang von vor zwei Jahren kommt, findet Thomas die Unterlagen in dreißig Sekunden.
Die Durchlaufzeit für Angebote hat sich von fünf auf anderthalb Tage verkürzt. Die Fehlerquote bei Stücklisten ist um 90 Prozent gesunken. Die Buchhaltung spart pro Monat 40 Stunden manuelle Arbeit ein.
Wichtiger noch: Die Mitarbeiter haben Vertrauen in die neuen Systeme gefasst. Sie bringen selbst Verbesserungsvorschläge ein, weil sie merken, dass ihre Ideen ernst genommen werden. Das ist der eigentliche Erfolg.
Was du morgen tun kannst
Prozessoptimierung beginnt mit einem ersten Schritt. Hier sind drei Dinge, die Thomas jedem empfiehlt, der vor ähnlichen Herausforderungen steht:
Nimm dir einen halben Tag Zeit und beobachte einen Prozess deiner Wahl von Anfang bis Ende. Notiere jeden Schritt, jeden Systemwechsel, jede Wartezeit. Die Erkenntnisse werden dich überraschen.
Sprich mit fünf Kollegen aus verschiedenen Abteilungen und frage sie: „Was nervt dich am meisten an unseren aktuellen Abläufen?" Die Antworten liefern dir eine Prioritätenliste frei Haus.
Rechne einmal aus, was eine typische Routineaufgabe das Unternehmen pro Jahr kostet. Arbeitszeit mal Stundensatz mal Häufigkeit. Die Zahl, die dabei herauskommt, ist dein Argument für das erste Gespräch mit der Geschäftsführung.
Quellen:
Staufen AG: Studie „Performance-Treiber 2024", April 2024
Fraunhofer IPA: Lean Management – Methoden und Prinzipien

